China hat sich zum führenden Fintech-Zentrum der Welt entwickelt. Warum das so ist, erklärt der asiatische Finanzexperte Kim Iskyan in einem exklusiven Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Ein kürzlicher Report der Beratungsfirma EY und der Singapurer DBS Bank kam zum Schluss, dass China sowohl das Silicon Valley wie auch London als innovativstes und grösstes Fintech-Zentrum der Welt überholt habe. Im Reich der Mitte fänden sich heute auch die meisten «Unicorns» – so heissen Jungunternehmen (Startups), die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind.

Von den insgesamt 27 «Unicorns», die es auf der Welt derzeit gibt, stammen tatsächlich die vier grössten aus China, und die insgesamt acht Startups aus dem Reich der Mitte, die auf dieser Liste figurieren, bringen es gemeinsam auf einen Marktwert von 96 Milliarden Dollar. Im Vergleich dazu sind die 14 innovativsten Fintechs in den USA gerade mal 31 Milliarden Dollar wert.

Die global tätige Strategieberatungsfirma McKinsey listete unlängst einige Gründe für Chinas Erfolg auf diesem Gebiet auf. Erstens hat Chinas Zentralbank in den vergangenen Jahren einen regulatorischen Rahmen geschaffen, der die weitere Entwicklung und Verbreitung digitaler Finanzdienstleistungen stark unterstützt.

«In China gibt es ‹erst› 721 Millionen Menschen, die das Internet benützen»

Zweitens ist Chinas E-Commerce-Sektor bereits sehr weit entwickelt. Weltweit entfallen 47 Prozent aller Online-Käufe im Konsumbereich auf China; diese Spitzenposition hat das Reich der Mitte im Jahr 2013 von den USA übernommen.

Und einiges deutet darauf hin, dass das Land seine Führung auf diesem Gebiet noch weiter ausbauen wird, zumal es in China «erst» 721 Millionen Internet-Benützer gibt, was 52 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Im Vergleich dazu: In den USA benützen bereits 89 Prozent der Bevölkerung das Internet.

Drittens werden in China nach wie vor breite Bevölkerungsschichten von den traditionellen Banken vernachlässigt. Dank des technologischen Fortschritts übergehen diese Menschen nun das klassische Banking und entscheiden sich für digitale Kanäle.

«Diese Firmen suchen wenn immer möglich nach Online-Lösungen»

Tatsächlich hat jeder fünfte Chinese keinerlei Zugang zu herkömmlichen Bankdienstleistungen. Im Reich der Mitte gibt es nur 8,1 Filialen (und 55 Bankomaten) auf 100’000 Menschen. Das ist deutlich weniger als beispielsweise in den USA, wo 28,2 Geschäftsstellen (und 55 Bankomaten) auf 100’000 Menschen entfallen; in Europa sind es immerhin noch 28 Filialen (und 81 Bankomaten).

Kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU) erhalten weniger als ein Viertel aller Firmenkredite, obschon sie 60 Prozent zum Bruttoinlandprodukt (BIP) beisteuern sowie 80 Prozent der Arbeitsplätze in den urbanen Zentren Chinas stellen.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass diese Firmen wenn immer nur möglich nach Online-Lösungen für ihre finanziellen Belange suchen, sei es im Zahlungsverkehr, bei Krediten, Investitionen oder Versicherungsfragen.

«Schon 380 Millionen Chinesen shoppen online über ihr Handy»

Besonders Zahlungslösungen sind in Chinas Fintech-Szene zentral. Bereits 40 Prozent aller Bankkunden verwenden unabhängige Fintech-Plattformen, um ihre nationalen wie auch internationalen Überweisungen abzuwickeln. Oder auch anders formuliert: Knapp 60 Prozent aller Internet-Benützer verwenden für ihre Zahlungen mobile Applikationen, und schon 380 Millionen Chinesen shoppen online über ihr Handy.

Und gut 200 Millionen Chinesen benützen ihr Mobiltelefon, um kleine Zahlungen im Alltag auszuführen. Es versteht sich von selbst, dass diese Tendenz in allen Belangen noch erheblich zunehmen wird.

Führende Tech-Giganten wie Baidu, Alibaba oder Tencent – auch bekannt unter dem Kürzel «BAT» – sind hinter den grössten und besten Fintech-Firmen Chinas her; die Autoren der eingangs erwähnten EY-/DBS-Studie stellen sogar fest, dass «BAT aggressiv daran sind, universale Plattformen zu entwickeln, die sämtliche Finanz- und Konsumbedürfnisse vernachlässigter Konsumentenschichten und KMUs aus seiner Hand anbieten.

Eine Branchen-Studie von Innotribe geht noch einen Schritt weiter und kommt zum Schluss, dass «BAT» sogar Vermögensverwaltung online und für jedermann anbieten kann, und zwar zu einem Preis, den man als «unglaublich günstig» bezeichnen muss.

«Die Fintech-Szene ist schon sehr gross und trotzdem noch in den Kinderschuhen»

Entsprechend sind die Kapitalkosten der Banken in China in den vergangenen Jahren enorm gestiegen, wie Innotribe weiter schreibt, zumal auch konventionelle Kunden immer mehr auf Online- und Mobile-Lösungen umschwenken.

Chinas Regierung kann diese ganze Entwicklung nur recht sein, will sie doch im Land eine service- und konsumorientierte Wirtschaft etablieren. Und das wird ihr insofern leicht fallen, als technologische Innovationen und das Wachstum im E-Commerce-Geschäft zu den Top-Prioritäten zählen.

So gesehen ist es nicht erstaunlich, dass die Fintech-Branche Chinas bereits einer der grössten Wirtschaftszweige im Lande ist, obschon sie erst in den Kinderschuhen steckt.


Kim Iskyan ist seit mehreren Jahrzenten in der Finanzbranche tätig und der Gründer von Truewealth Publishing, einer unabhängigen Investmentresearch-Firma in Singapur.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Frédéric Papp, Brigitte Strebel, Peter Hody, Mirjam Staub-Bisang, Guido Schilling, Claude Baumann, Adriano B. Lucatelli, Nicolas Roth und Thorsten Polleit.

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