Eine Jury aus bekannten Finanzexperten hat das Schweizer Finanzwort des Jahres 2022 gekürt. Die Wahl aus mehr als 260 Einsendungen erfolgte unter der Federführung von Natixis Investment Managers und finews.ch.

«Hawkish» (falkenhaft) – so heisst das Schweizer Finanzwort des Jahres 2022. Unter der Federführung des Finanzportals finews.ch und dem global tätigen Vermögensverwalter Natixis Investment Managers fand die Wahl dieses Jahr bereits zum neunten Mal statt.

Das Finanzwort des Jahres wird aus den eingesandten Publikumsvorschlägen von einer sechsköpfigen Jury ausgewählt. Sie besteht aus der Finanzprofessorin Sita Mazumder, dem Schriftsteller Michael Theurillat, dem Unternehmer Adriano B. Lucatelli, sowie aus Timo H. Paul, Managing Director von Natixis Investment Managers (Schweiz) und den finews.ch-Redaktoren Claude Baumann und Thomas Pentsy.

Die Begründung

Während der Corona-Pandemie haben die meisten Notenbanken beispiellose Massnahmen zur Lockerung der Geldpolitik und zur Unterstützung der Konjunkturerholung getroffen, darunter Zinssenkungen und Ankäufe von Vermögenswerten.

Auch dieses Jahr lief der geldpolitische Zyklus weitgehend synchron – allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Die Zentralbanken strafften ihre Geldpolitik, zogen die Zinszügel an, und einige von ihnen begannen sogar, den Umfang ihrer Bilanzen zu verringern.

Das Ziel dieser Massnahmen ist klar: Weltweit wollen die Notenbanker die Inflation unter Kontrolle bringen. Die Kehrtwende an der Zinsfront ist bezeichnend für das Tauziehen zwischen einer Inflationskrise und einer sich verlangsamenden Wirtschaft.

Mehr Falken als Tauben

Die englischen Begriffe Hawks (Falken) und Doves (Tauben) beschreiben die geld- und zinspolitischen Entscheidungen der Zentralbanker. Falken sind der Meinung, dass die Kontrolle der Inflation oberste Priorität hat. Sie tendieren dazu, die Zinssätze zu erhöhen, um das Geldangebot zu begrenzen.

Für Tauben dagegen hat das Wirtschaftswachstum Vorrang vor Inflationssorgen. Dieses Lager versucht in der Regel, die Zinssätze zu senken und durch eine Erhöhung der Geldmenge mehr Wirtschaftswachstum und vor allem mehr Arbeitsplätze zur erreichen.

Da die Teuerung 2022 in vielen Ländern den höchsten Stand seit mehreren Jahrzehnten erreichte und der Druck nicht nur auf den Lebensmittel- und Energiepreisen lastete, haben sich diesmal die Falken in den geldpolitischen Gremien durchgesetzt. Die Notenbanker fuhren und fahren nach wie vor eine so aggressive Zinspolitik wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Schmiermittel der Geldpolitik

«Der straffe Kurs der Falken spiegelt sich im Wirtschaftsleben in den unterschiedlichsten Ausprägungen und Folgewirkungen», sagt finews.ch-Gründer Claude Baumann. Denn Leitzinsen bewegen letztlich so ziemlich alles in der Wirtschaftswelt, vom Konjunkturgang und den Unternehmensinvestitionen über die Finanzmärkte und Währungen bis hin zu den Immobilienmärkten und zum Konsum- und Sparverhalten. «Im Begriff ‹hawkish› kulminiert sich, was alles passieren kann, wenn die Zinsen steigen.»

Für Sita Mazumder, Professorin für Wirtschaft und Informatik an der Hochschule Luzern (HSLU), ist der harte Zinskurs der Zentralbanken Ausdruck für «die Mangellage, die durch die Engpässe in den globalen Lieferketten und die durch den Ukraine-Krieg verursachten Störungen auf den Rohstoffmärkten entstanden sind».

Selbst nach der Energiekrise könnte die Teuerung weiterhin problematisch bleiben. Die Finanzexpertin weist dabei auf «Zweitrundeneffekte und damit auf das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale» hin. Als Reaktion auf die stark gestiegene Teuerung müsse die Lohndynamik genau beobachtet werden.

Ökonomische und soziale Folgen

Notenbanken müssen die Teuerung auch hart bekämpfen, damit sich die Einkommensschere nicht weiter öffnet. «Eine ganze Generation von Arbeitnehmenden war noch nie mit solch hohen Preissteigerungen konfrontiert», kommentiert der Schriftsteller und frühere Banker Michael Theurillat. Die hohe Teuerung habe nicht nur ökonomische, sondern auch gesellschaftspolitische und soziale Folgen, zumal «die Kostenbelastungen vor allem einkommensschwache Arbeitnehmende hart trifft, auch in der Schweiz».

Der aggressive Zinskurs sei zudem eine Folgewirkung der inflationstreibenden Engpässe in der Weltwirtschaft. «Enge erhöht die Aggressivität», stellt Theurillat fest.

Crash am Anleihenmarkt

Anleihen sind in der Regel langweilige Zinspapiere mit geringen Kursausschlägen, die in volatilen Phasen einem Portfolio zusätzliche Stabilität verleihen. Doch für Bondbesitzer bedeutete der Falken-Kurs der Notenbanken hohe Verluste. «Die Bond-Bubble ist geplatzt», sagt Unternehmer Adriano Lucatelli zur Zinswende. «Geld hat wieder einen Wert», kommentiert er das Ende der Tiefzinsphase.

Ein Paradebeispiel für den diesjährigen Crash am Anleihenmarkt sei die 2017 von Österreich begebene 100-jährige Staatsanleihe. Solch langlaufende Anleihen sind in Europa vergleichsweise selten. Die vermeintlich sichere Anlage erwies sich rückblickend als hochriskantes Papier. Hatten sich Anleger im Tiefzinsumfeld auf ihrer Jagd nach Rendite um diese Staatsanleihe noch gerissen, handeln die Titel jetzt weit unter Par.

Licht am Ende des Tunnels

«Im Rückblick war 2022 für die meisten Anlegerinnen und Anleger tatsächlich das schwierigste Jahr seit langem», erklärt Timo H. Paul von Natixis Investment Managers.

«Als Asset Manager sind uns solche Verwerfungen nicht unbekannt, und es gibt für fast alle Situationen entsprechende Lösungen. Bei den Anleihen bieten sich jetzt so interessante Möglichkeiten wie schon viele Jahre nicht mehr», so Paul.

Eine Frage der Perspektive

Auch finews.ch-Redaktor Thomas Pentsy verweist auf die Verwerfungen an den Finanzmärkten, die durch den Trendwechsel bei den Zinsen losgetreten wurden. Jahrelang kannten etwa die US-Immobilienpreise nur eine Richtung: aufwärts. «Jetzt spiegelt der Immobilienmarkt aber eine Abwärtsdynamik wie seit der Finanzkrise nicht mehr».

Im Zuge des starken Zinsanstiegs rückten nun Rezessionssorgen zunehmend ins Scheinwerferlicht. «Wirtschaftskrisen können selbst die grössten Falken vorübergehend in Tauben verwandeln», sagt Pentsy mit Blick auf einen allfälligen Richtungswechsel der US-Notenbank im kommenden Jahr.

Zum neunten Mal

Die Wahl zum Schweizer Finanzwort des Jahres fand 2022 zum neunten Mal statt. Die in den Vorjahren gekürten Begriffe waren «Negativzinsen», «Nullzinspolitik», «Frankenschock», «Bitcoin», «Strafzoll», «Libra», «Schuldenpandemie» sowie «Greenwashing».


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